Saskia von Spreckelsen Saskia von Spreckelsen

Die stillen Spuren – Trauma, innere Orte und der Weg zurück zu sich

Traumatische Erfahrungen hinterlassen nicht nur sichtbare Spuren, sondern oft stille, innere Brüche. In der psychoanalytischen Traumatherapie zeigt sich, dass das, was einst unaussprechlich war, weiterlebt – in Körperempfindungen, in inneren Stimmen und in der Art, wie wir Beziehungen erleben.

Ein stiller Abdruck

Lina sitzt mir gegenüber.

Sie spricht ruhig, kontrolliert.

Bis sie plötzlich innehält.

„Es kommt gerade so rein... ich traue mich nicht, davon zu sprechen. Ich spüre es körperlich. Ich fühle mich verlassen.“

Ihre Hände zittern leicht. Ihr Atem wird kürzer.

Es gibt keine große Geschichte. Nur Körpererinnerungen: ein Ziehen in der Brust, ein Druck auf der Kehle, ein flüchtiger Schmerz in der Seite.

Lina kann nicht genau sagen, was passiert ist. Doch ihr Körper erinnert sich. Ihr Inneres weiß es noch.

Introjekte – Stimmen, die weiterleben

Manchmal taucht eine Stimme in Lina auf:

  • „Du bist selbst schuld.“

  • „Stell dich nicht so an.“

Diese Stimmen sind nicht ihre eigenen. Sie sind Introjekte – verinnerlichte Beziehungserfahrungen aus frühen Bindungen.

Introjekte entstehen oft, um eine Bindung aufrechtzuerhalten, selbst unter schmerzhaften Bedingungen. Sie wirken wie innere Abbilder: von Schutz, aber auch von Schuld, Scham oder Entwertung.

Ein Täter*innen-Introjekt kann entstehen, wenn Erfahrungen von Gewalt, Missachtung oder Beschämung innerlich abgespeichert werden – nicht als konkrete Erinnerung, sondern als Haltung gegenüber sich selbst.

Was einst von außen kam, wird Teil des inneren Dialogs: Vorwürfe, Abwertung, Verzweiflung.

Identifikation mit dem Aggressor bedeutet: sich unbewusst mit der Haltung des Täters zu verbinden – ein Überlebensmechanismus. Lieber Schuld empfinden, als Ohnmacht ertragen. Doch der Preis ist hoch: ein Selbst, das sich gegen sich selbst richtet.

Szenisches Verstehen – was in der Beziehung sichtbar wird

Im Therapieraum zeigt sich Trauma selten in klaren Worten. Stattdessen in Szenen:

  • wenn Lina plötzlich verstummt,

  • wenn sie sich entschuldigt, obwohl sie nichts falsch gemacht hat,

  • wenn sie Nähe sucht – und sie kaum erträgt.

Szenisches Verstehen bedeutet, diese Bewegungen zu erspüren. Nicht analysieren, sondern begleiten.

Leere, Selbsthass, Taubheit

Manchmal sagt Lina:

  • „Es ist, als wäre alles in mir leer.“

  • „Ich spüre nichts.“

  • „Ich hasse mich dafür.“

Diese Taubheit ist kein Versagen. Sie ist Schutz. Selbsthass ist oft das Echo alter Beschämungen – ein Versuch, Kontrolle zu behalten, wenn man einst hilflos war.

Körperliche Erinnerungen – der Körper spricht zuerst

Während Lina erzählt, spürt sie plötzlich:

  • einen Kloß im Hals,

  • ein schweres Herz,

  • zitternde Hände.

Die Erinnerung des Traumas zeigt sich zuerst im Körper, bevor sie bewusst verstanden oder erzählt werden kann. Wenn wir mit Atem, Haltung und Wahrnehmung arbeiten, können diese impliziten Spuren langsam in bewusste Erfahrung und Sprache übergehen.

Ein neuer innerer Ort

Im Laufe der Zeit entsteht etwas Neues. Nicht laut. Nicht spektakulär. Ein innerer Ort.

Ein Ort, an dem Lina sein darf – mit Angst, Scham, Wut und Sehnsucht. Ein Ort, an dem das Selbst nicht mehr fragmentiert ist. Ein Ort, an dem alle Anteile ihren Platz finden dürfen.

Praktische Impulse – erste Schritte im Umgang mit Trauma

Die Begegnung mit Trauma braucht Zeit, Geduld und Begleitung. Kleine Schritte können unterstützen:

  • Atmung bewusst spüren – ein tiefer Atemzug kann helfen, im Hier und Jetzt anzukommen.

  • Körperempfindungen wahrnehmen – sanft beobachten, ohne sie sofort verändern zu müssen.

  • Sichere Orte imaginieren – innere Bilder können Schutz und Halt geben.

  • Vertrauensvolle Beziehungen suchen – Heilung geschieht selten allein.

Diese Schritte ersetzen keine Therapie, können aber erste Brücken sein – hin zu einem neuen inneren Ort.

Schlussbild

Manchmal beginnt Heilung nicht damit, dass alles wieder ganz wird. Sondern damit, dass die Brüche gesehen, gehalten und geachtet werden – bis eines Tages ein leises Schwingen entsteht, und das eigene Selbst wieder atmet.

Heilung bedeutet nicht, Vergangenheit zu vergessen, sondern in der Gegenwart wieder Raum für Lebendigkeit zu finden.

*Hinweis: Die Figur Lina ist stilisiert. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen ist zufällig.*

Literaturempfehlung

  • Mathias Hirsch: Psychodynamik und Therapie von Traumafolgestörungen

  • Jörg Frommer: Psychodynamik des Traumas

  • Luise Reddemann: Imagination als heilsame Kraft

  • Heinz Weiß: Täter-Opfer-Introjekte

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Wenn etwas ungeklärt bleibt

Trauer, der Verlust von Bindungspersonen und das Unverdaute im Inneren

„Abschiednehmen heißt nicht, loszulassen - sondern innerlich umzuordnen. Wir verlieren den Menschen nicht ganz. Er verändert nur seinen Ort in uns.“

Manche Verluste sind nicht nur traurig. Sie sind rätselhaft.
Jemand stirbt – aber nicht einfach aus dem Leben, sondern auch aus einem inneren Prozess. Es bleiben offene Fragen, ungesagte Worte, ungelebte Bewegungen.

Und dann beginnt die eigentliche Trauer: nicht über den Tod allein, sondern über das, was “nie gesagt”, “nie verstanden”, “nie zu Ende gefühlt” wurde.

Trauer braucht Beziehung – auch nach dem Tod

Sigmund Freud beschrieb Trauer als einen inneren Ablösungsprozess: Man löst sich vom “verlorenen Objekt”, um wieder frei zu sein für das Leben. Doch was, wenn sich die Beziehung nie ganz klären konnte? Wenn Liebe und Schmerz, Nähe und Entfremdung sich vermischen?
Wenn eine Beziehung nie ganz gelebt oder geklärt werden konnte, bleibt das “innere Objekt” fragmentiert oder konflikthaft. Und genau das spüren viele Menschen in ungeschlossener Trauer. Ein Teil in ihnen bleibt gebunden - nicht an den Verlust, sondern das Unerledigte.

Wenn Klärung nicht mehr möglich ist

Manche Menschen sterben, bevor wir aussprechen konnten, was war:

  • die Enttäuschung

  • der Schmerz

  • die Angst

  • das, was wir gebraucht hätten

  • Und so lebt etwas weiter – in uns. Nicht nur Erinnerung, sondern Spannung. Unerlöste Loyalität. Oder stille Wut. Und all das sucht einen Ort.

Melancholie – Trauer ohne Sprache

Anders als Trauer, die sich bewegt, ist Melancholie oft “stumm”. Sie umhüllt das Selbst, macht leer, schwer, langsam. Sie ist wie ein Kind, das auf etwas wartet, das nicht mehr kommt – und nicht verstehen kann, warum. In der Melancholie steckt nicht nur Verlust – sondern “das Unausgesprochene des Verlustes”.

Was helfen kann

  • Dem Unausgesprochenen innerlich eine Stimme geben

  • Briefe schreiben – auch wenn sie nie gelesen werden

  • In Therapie: die Beziehung 'nach-trauern', die es nie ganz gab

  • Sich erlauben, ambivalent zu bleiben

  • Träume und Fantasien als Räume nutzen, in denen Begegnung nachgeholt werden darf

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Innenleben - Texte, die berühren

Raum für Suchende

Texte, die nicht erklären wollen. Sondern berühren.

Manchmal tragen wir Gefühle in uns, für die es keinen klaren Namen gibt.
Unruhe. Schuld. Sehnsucht. Leere.
Manches ist leise – und wirkt doch tief.

Diese Texte sind Versuche, dem Innenleben Raum zu geben.
Worte zu finden, wo Sprache sonst fehlt. Als Einladung zum Nachspüren.

Vielleicht finden Sie sich darin wieder.
Oder finden Worte für etwas, das lange stumm war.

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Was, wenn ich gar nicht so gut bin?

Manchmal kommt es still. Nicht dramatisch. Eher wie ein leises Flüstern:
„Du bist nicht echt. Du bist nicht so gut, wie sie denken.“
Egal wie oft andere loben, egal wie viel erreicht wurde – das Gefühl bleibt: Ich habe Glück gehabt. Ich habe es versteckt. Irgendwann fliege ich auf.

Das Imposter-Gefühl ist nicht selten. Aber es fühlt sich einsam an.

Was ist das Imposter-Syndrom?

Menschen mit Imposter-Erleben haben Schwierigkeiten, ihre Erfolge innerlich als verdient zu erleben. Sie schreiben Leistungen äußeren Umständen zu – Zufall, Milde der anderen, Systemfehler.
Innere Glaubenssätze wie:

  • „Ich habe es nur geschafft, weil…“

  • „Wenn du mich wirklich kennen würdest…“ sind typisch.

    Das Selbstbild ist innerlich abgekoppelt von dem, was außen wahrgenommen wird.

Ein innerer Konflikt

Psychodynamisch betrachtet liegt diesem Gefühl oft ein tiefer innerer Konflikt zugrunde: zwischen dem, wie man erlebt wird, und dem, wie man sich selbst erlebt. Die Außenwelt sieht Leistung – das Innere spürt Unzulänglichkeit.

Der englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott sprach in diesem Zusammenhang vom Konzept des “falschen Selbst”: Ein Selbstbild, das sich früh entwickelt, um die Erwartungen der Umwelt zu erfüllen – oft auf Kosten des wahren inneren Erlebens. Das echte Selbst bleibt verborgen, ungelebt – und das Gefühl entsteht: „Wenn jemand mich wirklich kennen würde, würde er mich ablehnen.“

Selbstwert, Spiegelung und das Selbstobjekt

Auch Heinz Kohut, Begründer der Selbstpsychologie, betonte die Bedeutung früher Spiegelungserfahrungen. Ein Kind braucht einfühlsame Reaktionen auf sein Selbstgefühl – wird dies versäumt oder verzerrt, entsteht eine fragile Selbststruktur. Die Suche nach Anerkennung im Erwachsenenalter kann dann zu einer ständigen Anstrengung werden, die eigene Existenz zu bestätigen.
Das Impostor-Syndrom kann somit als Ausdruck einer nicht konsolidierten Selbstwahrnehmung verstanden werden: Erfolge werden nicht integriert, sondern relativiert oder abgespalten. Innerlich bleibt das Gefühl von Nicht-Genügen – trotz aller Fakten.

Was in der Therapie möglich ist

In der psychodynamischen Therapie geht es darum, das innere Selbstbild und seine Ursprünge zu verstehen. Gemeinsam wird erforscht, woher das Gefühl stammt, nicht authentisch oder wertvoll zu sein – und wie frühere Beziehungserfahrungen dies geprägt haben.
Es kann heilsam sein, im geschützten Raum andere Erfahrungen zu machen: gesehen zu werden, ohne leisten zu müssen. Und langsam ein Gespür für das eigene, echte Selbst zu entwickeln – jenseits von Masken und Erwartungen.

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Zwischen Schuld und Sehnsucht

Über Schuldgefühle – echte, übernommene und die, die wir nicht benennen können

„Nicht alles, wofür wir uns schuldig fühlen, ist unsere Schuld. Aber alles, was wir fühlen, gehört zu uns.“

Schuldgefühle sind wie Schatten. Sie kommen oft leise, und sie bleiben lange.
Manchmal wissen wir, was wir getan haben. Und manchmal fühlen wir uns schuldig – einfach dafür, dass wir existieren, Grenzen setzen, weitergehen.

Nicht alle Schuld ist gleich. Manche ist real. Manche ist übernommen. Und manche entsteht aus der unerfüllten Sehnsucht, geliebt zu werden.

Wofür fühlen wir uns schuldig?

  • Wenn wir jemandem wehtun

  • Wenn wir Nein sagen

  • Wenn wir uns verändern, während andere stehenbleiben

  • Wenn wir leben, wo andere leiden

  • Wenn wir jemanden enttäuschen, der uns wichtig ist

  • Doch oft ist das Gefühl der Schuld größer als das tatsächliche Geschehen. Es wirkt tief, weil es nicht nur zum Jetzt gehört – sondern zur Geschichte.

Übernommene Schuld – die stille Last

Viele Menschen tragen Schuldgefühle, die nicht aus ihren eigenen Handlungen stammen, sondern aus Bindungen.

Wenn Kinder z.B. spüren, dass ihre Eltern leiden, übernehmen sie oft unbewusst Verantwortung. Sie fühlen sich schuldig für die Traurigkeit, den Rückzug, das Unglück anderer – als ob ihr eigenes Glück verboten wäre. So entsteht ein Schuldgefühl, das gar nicht auf Handlung beruht – sondern auf Bindungstreue.

Schuld aus Wut – nach innen gerichtet

Schuldgefühle können auch Ausdruck einer nach innen gewendeten Wut sein. Wenn Kinder ihre Wut nicht nach außen richten dürfen – aus Angst, Liebe oder Zuwendung zu verlieren – wird sie umgelenkt und kann sich in ein Schuldgefühl verwandeln. Die Aggression bleibt erhalten, aber sie richtet sich gegen das eigene Selbst. So entstehen Formen der Selbstabwertung, des Rückzugs oder der Depression, die als Schuldgefühle erscheinen.

Frühe Schuldgefühle – eine bindungstheoretische Perspektive

Schuldgefühle können sich sehr früh entwickeln. Schon kleine Kinder spüren intuitiv, ob ihre Eltern belastet oder emotional verfügbar sind. Wenn sie z.B. erleben, dass ihre Existenz mit Schmerz, Überforderung oder Ablehnung verbunden ist, entwickeln sie eine Art “existenzielles Schuldgefühl”: „Ich bin der Grund, warum es dir schlecht geht.“

Diese tief verwurzelte Schuld begleitet viele Menschen bis ins Erwachsenenalter – oft unausgesprochen und diffus.

Die Schuld, sich zu lösen – nach Mathias Hirsch

Wie der Psychoanalytiker Mathias Hirsch beschreibt, sind Schuldgefühle häufig mehr als moralische Reaktionen. Er unterscheidet zwischen:
- realer Schuld (aus konkreten Handlungen)
- übernommener Schuld (aus innerer Bindung und Identifikation)
- unbewusster Schuld (als Ausdruck eines Beziehungskonflikts)

Diese letzte Form zeigt sich oft in der Therapie, wenn sich ein Mensch schuldig fühlt, sich zu verändern, Autonomie zu entwickeln oder Nähe zuzulassen. Hirsch spricht hier von Wachstumsschmerz – der Preis für seelisches Reifen. Schuld wird dann zur inneren Reaktion auf das Loslassen alter Rollen, innerer Verbote oder familiärer Identifikationen.

Beispiel: Mia – und das Gefühl, zu viel zu sein

Mia erzählt, dass sie sich schuldig fühlt, wenn sie eigene Wünsche ausspricht. „Schon als Kind dachte ich: Wenn ich etwas will, dann wird es den anderen zu schwer.“ Heute weiß sie: Dieses Gefühl stammt nicht aus dem Jetzt. Es ist die alte Spur einer übernommenen Verantwortung – Schuld, die nie ihre eigene war.

*Hinweis: Die Figur Mia ist stilisiert. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen ist rein zufällig.*

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Vielleicht bin ich einfach nur zu faul?

Warum wir aufschieben - Ein psychodynamischer Blick auf Prokrastination

Es ist Abend. Der Bildschirm bleibt leer. Die Deadline rückt näher, doch du klickst dich durch Nachrichten, sortierst Gewürze, führst halbe Gespräche – alles, nur nicht das, was getan werden müsste. „Ich bin halt einfach faul“, sagen manche. Aber ist es wirklich so einfach?

Prokrastination, das Aufschieben von Aufgaben trotz besseren Wissens, ist kein seltenes Phänomen. Es ist nicht einfach „keine Lust“ oder „schlechte Organisation“. Oft liegt darunter eine komplexe innere Dynamik – eine leise Not.

Was bedeutet Prokrastination psychodynamisch?
Die Psychoanalyse hat sich früh mit Formen des Leistungsverhaltens beschäftigt. Namen wie Sigmund Freud, Karen Horney, Heinz Kohut oder auch Otto Kernberg werfen Licht auf das, was unbewusst mitschwingen kann: Selbstwert, Schuldgefühle, innere Konflikte mit elterlichen Repräsentanzen.

Dabei könnte man sagen:
Prokrastination ist nicht nur ein Handlungsaufschub. Es ist auch ein Gefühlsarchiv aus Angst, Hoffnungen und womöglich alten Kränkungen.

Was kann sich unbewusst zeigen?

  • Angst vor Versagen – Wenn ich beginne, könnte sichtbar werden, dass ich scheitere.

  • Überhöhte Ansprüche – Wenn ich nicht perfekt bin, bin ich nichts wert.

  • Vermeidung von Beurteilung – Jede Abgabe fühlt sich wie ein Urteil über meine Person an.

Prokrastination kann auch ein Protest sein – gegen innere Elternfiguren, die einst zu streng, zu fordernd, zu abwesend waren. Oder eine Wiederholung: das Gefühl, nicht gesehen, nicht gut genug, nicht gehalten worden zu sein. Manche Menschen beschreiben es so: „Wenn ich fertig wäre, müsste ich es zeigen. Dann würde ich mich ausliefern.“ Dies kann einem Akt des inneren Widerstands gleichkommen. Nicht gegen die Aufgabe an sich, sondern gegen das, was sie bedeutet.

Wenn ich „es“ mache – die Klausur, das Projekt, die Bewerbung – dann bin ich allein verantwortlich. Und das bedeutet vielleicht auch, meine Eltern zu entlasten, ihnen nicht länger die Schuld zu geben für das, was mir gefehlt hat. Wenn ich erfolgreich bin, könnte das heißen: „Ich bin jetzt erwachsen. Ich lasse euch los.“ Doch die kindliche Hoffnung, doch noch etwas zu bekommen – Anerkennung, Liebe, Stolz – lebt vielleicht noch. Und so zögern wir. Halten alles auf. Damit das Unausgesprochene bleibt, wo es ist.

🟩 Zum Weiterdenken: Was kann noch hinter dem Aufschieben liegen?

Nicht immer ist es nur Angst vor Fehlern oder Perfektionismus. Manchmal wurzelt das Zögern tiefer:

  • Scham: Wer in der frühen Kindheit wiederholt beschämt oder abgewertet wurde, kann unbewusst vermeiden, sich zu zeigen – aus Angst, erneut beschämt zu werden.

  • Frühe Lernprägungen: Wenn Lernen mit Druck, Liebesentzug oder Überforderung verbunden war, kann Leistung heute Stress oder Widerstand auslösen.

  • Innere Konflikte: Das „Ich sollte“ und das „Ich will nicht“ kämpfen gegeneinander – manchmal ohne klare Sieger: Ein innerer Stillstand entsteht.

    🟢 Eine psychodynamische Therapie kann helfen, solche verborgenen Muster zu erkennen und zu verstehen. Denn hinter dem Aufschieben steht oft nicht Unfähigkeit – sondern oftmals auch ein innerer Schutz.

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